Livs Wankelmut und ihre Unberechenbarkeit stellten nicht nur die Freundschaft zu Inken oft auf die Probe. Liv handelt aus dem Bauch heraus, ohne die Konsequenzen vorher zu bedenken. An und für sich ist sie ein außergewöhnlich liebenswerter Mensch, aber wie wir alle „nur“ bis zu einem gewissen Grad belastbar. Irgendwann knallte es dann.

Als der Rettungswagen die Einfahrt herunterfährt, atme ich tief durch. Trotz dieser beängstigenden Situation fühle ich mich erleichtert, dass nun jemand anders die Verantwortung für Maarjas gesundheitlichen Zustand übernimmt. Auch wenn ich gegen ihren Willen den Notruf getätigt habe. Das Fieber war noch einmal gestiegen und die heftigen Hustenanfälle ließen ihr kaum Luft zum Atmen. Meine Beine zittern. Eigentlich müsste ich mit Maarjas Notfalltasche hinterherfahren, doch ich traue mir das heute nicht mehr zu. Habe ihr versprochen, dass ich gleich morgen früh ins Krankenhaus kommen werde. Schweren Schrittes gehe ich nach Hause, muss auf der kurzen Strecke zweimal eine Pause einlegen, weil ich mich schwach und schwindelig fühle. Zuhause angekommen suche ich verzweifelt nach dem Schlüssel, drehe fast durch, als ich ihn nicht auf Anhieb finde. Mit letzten Kräften schütte ich die ganze Tasche auf dem Boden aus. Mir kommen die Tränen, als ich ihn endlich zwischen einigen Taschentüchern, Haargummis und Hustenbonbons entdecke.
Mikkel ist nicht da, dabei ist es bereits nach elf. Ich hänge meine Jacke auf, zucke zusammen, als mir die ganze Garderobe vor die Füße fällt. Verflucht nochmal. Er hatte schon vor Wochen versprochen, dass er sich wenigstens darum kümmern würde. Auf dem Sofa und dem Tisch im Wohnzimmer liegen überall seine Unterlagen verstreut. In einem Wutanfall fege ich alles auf den Fußboden. Der teure Taschenrechner zerbricht am gegenüberliegenden Regal in tausend Teile. Unter Tränen sammle ich das meiste auf, um es dann direkt wieder in die Ecke zu pfeffern. Ich habe genug. Gott sei Dank ist Peder bei Frederik und Maren bestens aufgehoben. 
Mir ist heiß und meine Beine geben endgültig nach. Ich schleppe mich aufs Sofa, bette den Kopf auf das grüne Kissen und schließe die Augen. In diesem Moment höre ich den Schlüssel vorne in der Haustür. Sekunden später vernehme ich Mikkels Atem, der offensichtlich das Chaos im Wohnzimmer entdeckt hat.
»Was ist denn hier passiert? Liv? Scheiße, mir geht es nicht gut. Ich glaube, ich habe Fieber.«
Ich reagiere nicht, halte die Augen fest verschlossen und hoffe, dass er einfach im Schlafzimmer verschwindet. Aber natürlich tut er mir diesen Gefallen nicht, sondern setzt sich neben meine Füße auf das Sofa und stupst mich immer wieder mit dem Finger an.
»Liv? Hallo?«
»Lass mich in Ruhe.«
„Was ist los?“
„Lass mich einfach in Ruhe.“
„Was soll denn das? Ich komme völlig erschöpft von der Arbeit, fühle mich wirklich beschissen und finde hier dieses Chaos vor.“
„Frag mich mal.“
„Das mache ich doch gerade.“

Mühsam setzte ich mich etwas auf und blicke ihn zornig an.
»Hast du in den vergangenen Monaten nur einen einzigen Gedanken daran verschwendet, wie es mir geht? Du führst dich auf, als wäre dies hier ein Hotel und ich deine Bedienstete. Wann hast du das letzte Mal auch nur ein paar Minuten mit deinem Sohn verbracht? Oder mir im Haushalt geholfen? Oder bist mal einkaufen gegangen? Nach dem Aufstehen verschwindest du im Bad und bist schneller aus der Tür, als ich dir einen guten Morgen wünschen kann. Am Abend kehrst du irgendwann zurück, trinkst auf dem Sofa ein Bier, während du immer noch irgendwelche Firmenunterlagen studierst. Anschließend gehst du oftmals ins Bett, ohne auch nur ein Wort mit mir zu wechseln.«
»Liv, das ist unfair. Ich habe dir gesagt, was in der Firma gerade auf dem Spiel steht.«
Ich stöhne, fühle mich derzeit eigentlich nicht in der Lage, solch eine Diskussion zu führen.
»Mikkel, das geht schon seit Jahren so. Immer ist irgendetwas in der Firma. Ich habe keine Lust mehr. Ich bin am Ende.«
»Was soll das denn heißen? Willst du wirklich jetzt um diese Uhrzeit über unsere Ehe diskutieren? Ich habe einen verdammt langen Arbeitstag hinter mir und fühle mich so richtig beschissen.«
»Siehst du … Ich, ich, ich!«
»Komisch nur, dass dir Inken und Birte derzeit das Gleiche vorwerfen. Du hast das `Klit´aufgebaut, Du hast einfach jemanden eingestellt, ohne die anderen zu fragen. Ohne DICH würde offenbar gar nichts laufen.«
»Mikkel, das war’s! Ich war den ganzen Abend bei Maarja, bis ich den Rettungswagen rufen musste. Ich gehe jetzt ins Bett und werde schlafen. Was du machst, ist mir völlig egal. Aber hüte dich, das Schlafzimmer zu betreten. Ich will dich nicht mehr sehen.«
Als ich versuche aufzustehen, stürze ich fast über seine Tasche. Kicke sie nun vollkommen in Rage weg, so dass diese in seine Musikanlage kracht. Doch das ist mir jetzt völlig egal. Ich haste weiter ins Schlafzimmer, werfe die Tür krachend zu und schließe sie von innen ab. Dann lege ich mich ins Bett und heule, bis ich vor Erschöpfung einschlafe. 

Ich wünsche euch allen ein entspanntes Wochenende!
Passt auf euch auf!
Eure Inken