Nur ein ganz Kurzes? Das ging mir oft beim Schreiben durch den Kopf.

Genauso oft habe ich mich gefragt, wie eine Szene von einem anderen Charakter aus erlebt wurde.

Daher habe ich mich kürzlich hingesetzt und begonnen, Szenen aus der „Endlich-Reihe“ aus einer anderen Sicht zu schreiben. Dies soll kein neues Großprojekt werden. Stattdessen möchte ich mit euch nach all der Zeit gemeinsam in Erinnerungen schwelgen. Ich hoffe, ihr habt Freude daran. Den Beginn macht natürlich Leif, und zwar aus „Endlich bin ich ich“.

Die ganze Nacht habe ich kein Auge zugetan. Bin weit vor der Dämmerung an den Strand gelaufen. Knud versteht die Welt nicht mehr. Sieht mich unsicher an, als ahne er, dass etwas Besonderes bevorsteht. Appetit hatte ich nach unserem Ausflug keinen. Während mein vierbeiniger Kamerad den gesamten Inhalt seines Napfes in gefühlten Sekunden verputzt hat, habe ich versucht, mich mit kleinen Schnitzarbeiten an der Werkbank abzulenken. Am Nachmittag konnte ich die Füße nicht mehr stillhalten, bin hinüber zu Margaretes Haus gelaufen, um zu überprüfen, ob die neue Tür auch wirklich richtig in den Zargen sitzt. 

Gestern Abend hat Inken bei Helene angerufen und mitgeteilt, dass sie heute am späten Nachmittag ankommen wird. Bei dieser Ankündigung habe ich tatsächlich eine Gänsehaut bekommen und mich dann selbst gefragt, was überhaupt mit mir los ist. Das junge Mädchen von damals ist heute eine erwachsene Frau. Vielleicht hat sie sich grundlegend verändert. Vielleicht gibt es dieses mutige kompromisslose Kind nicht mehr. Vielleicht hat man ihr alle Flausen aus dem Kopf getrieben. Dabei weiß ich ganz genau, dass dem nicht so ist. Ich habe ihr dort im Supermarkt tief in die Augen gesehen und das kleine Mädchen wieder entdeckt, das damals mit mir am Drachenboot gewerkelt hat. Mit dem ich eine so kostbare Zeit verbracht habe, kurz nachdem meine Frau endgültig von mir ging. All die Jahre habe ich darauf gewartet, dass Inken zurückkehrt und nie die Hoffnung verloren. 

Ich trete ein und sehe mich noch einmal um. Die letzten Tage habe ich alle Räume einer gründlichen Reinigung unterzogen. Nichts erinnert mehr an die lange Zeit, die dieses Haus unbewohnt war. Helene musste mich davon abhalten, bereits in den Baumarkt zu fahren und Bodendielen zu kaufen. Sie hat recht, wenn sie sagt, dass Inken diese selber aussuchen soll. Natürlich bin ich mir sicher, dass sie das auch kann. Ich hoffe nur, dass ihr die Arbeit nicht zu viel wird und sie demzufolge an ihrer Entscheidung zweifeln wird. Mit Morten habe ich ebenfalls gesprochen. Er wird ihr einen Job im Supermarkt anbieten, so dass sie sich finanziell keine Sorgen machen muss. Selbst wenn ich überzeugt bin, dass sie sich längst diesbezüglich Gedanken gemacht hat. 

Das ehemalige Schlafzimmer ist wirklich winzig. Ich sehe mich im Wohnzimmer um, betrachte den hohen Raum, der sich geradezu anbietet, eine Zwischendecke einzuziehen. Sicher würde ihr ein Bett unter dem Dach gut gefallen. Dort oben hört man den Wind und je nach Wetterlage ab und an auch die Wellen der Nordsee. Kann es beruhigendere Töne zum Einschlafen geben? 

Ich gehe wieder hinaus, pfeife nach Knud, der es sich mittlerweile unterhalb der Veranda gemütlich gemacht hat. Der Wind hat aufgefrischt, bläst mir selbst hier bereits Sand in die Augen. Dennoch stapfen Knud und ich dagegen an, bleiben oben am Dünenkamm stehen und blicken auf die unruhige See. Lauschen dem Geschrei der Möwen am Himmel über uns. Knud entscheidet, dass es weitergeht. Ich folge ihm bis an den Wellensaum, stochere mit einem Zweig in einer Algenansammlung herum. Es ist zu früh, die wahren Schätze werden noch ein paar Wochen auf sich warten lassen. 

Plötzlich sehe ich eine Gestalt weiter hinten an der Kro auf der Düne stehen. Sie läuft direkt zum Wasser, zieht Schuhe und Socken aus und watet in die eisigen Priele. Sofort denke ich an die Zeit, als dieses Mädchen mutig die Dannebrog vom Drachenboot aus geschwenkt hat. Unwirsch wische ich die Tränen weg. Sie ist zurück.

Passt gut auf euch auf!
Eure Inken